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Journalistische Texte

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Redakteure und Freie der regionalen und lokalen Tageszeitungen kennen den Vorschlag: "Wenn Sie von der Ausstellungs-eröffnung in der Kreis-sparkasse berichten, können Sie doch gleich die Photos mitmachen. Sie wissen doch, wir müssen sparen!" - und ob er das weiß!

Komisch nur, dass Photojournalisten in der Regel nicht nach Texten gefragt werden. Ist Schrei-ben schwieriger als photo-graphieren? Trotzdem gibt es auch einige schreibende Photographen, und ich bin einer davon!

Einige dieser Texte sind einem Festplatten-Malheurchen eines abge-stürzten Computers zum Opfer gefallen, andere würde ich niemandem mehr zeigen wollen, komischer-weise ist meine schrei-bende Seele besonders heikel.

Besonders gerne habe ich nach wie vor die nebenan stehenden Bastian-Glossen, die ich während einer Layout-Hospitation geschrieben habe. "Hat jemand eine Idee für einen Bastian?" fragte der Lokalchef - ich hatte und durfte von da an öfter mal ran.

Die S-Bahnmaus

Endlich! Tagelang habe ich nicht ruhig schlafen können, so hat mich ihr Ausbleiben beschäftigt. Heute habe ich sie endlich wiedergesehen - sie ist so niedlich, so entzückend, einfach süß!

Entschuldigung, ich sollte vielleicht erklären, von wem ich spreche: Josephine meine ich, die S-Bahnmaus - so jedenfalls nenne ich sie immer. Das erste Mal gesehen habe ich sie vor etwa einem halben Jahr. An einem Dienstag nachmittag im Mai spazierte sie im Tiefbahnhof des Frankfurter Hauptbahnhofs über den anthrazitgrauen Schotter zwischen den Gleisen, umkurvte elegant eine angerostete Bierdose, schnüffelte kurz an einer der zahllosen Zigarettenkippen, die dort unten herumliegen, und blickte mir gerade ins Gesicht.

Wir schauten uns kurz an, zwei verwandte Seelen, umgeben von gelangweilten Pendlern aus Eschborn, Friedberg oder Friedrichsdorf, dann ratterte auch schon mein Zug heran.

Seither versäume ich es nie, wenn ich abends auf meine S-Bahn warte, nach ihr Ausschau zu halten. Ich weiß nicht, wie es ihr geht, aber für mich wäre der Bahnhof irgendwie leer ohne sie.

Darum war ich ja so in Sorge, weil sie sich über drei Wochen nicht gezeigt hat - Josephine, meine S-Bahnmaus.

Ihr Bastian

 

für die Frankfurter Rundschau

vom Freitag, 19. Januar 1996, R-Ausgabe und vom Samstag, 20. Januar 1996, D-Ausgabe

Der Gipfelstürmer

Wenn ich ausgeschlafen bin und gut gefrühstückt habe, gönne ich mir zuweilen ein ganz besonderes Abenteuer. Ort der Handlung: Der Weg vom dunklen Tiefbahnhof ans Licht des Hauptbahnhofs.

Auf der ersten Rolltreppe schon atme ich tief durch, sammle meine Kräfte und setze meine entschlossenste Miene auf. Die zweite Rolltreppe lasse ich links liegen und steuere beherzt auf die daneben liegende Treppe zu.

Die ersten zehn Stufen sind noch leicht. Dann folgt ein Absatz, die Treppe führt im rechten Winkel nach rechts.

Hier habe ich schon gestandene Männer blaß werden und umkehren sehen: Während meine S-Bahn in das Tunnelsystem des Frankfurter ÖPNV eingefahren ist, sind vier vollgepackte Pendlerzüge aus Mainz, Gießen, Hanau und Darmstadt gleichzeitig im Bahnhof zum Stehen gekommen, und nun ergießt sich von hoch oben ein Mahlstrom von eiligen Vorstädtern auf die enge Treppenkaskade.

Je nach Tagesform gehe ich gerade auf die erbarmungslose Menge zu oder ziehe den Rettungsanker des Treppengeländers vor. Jetzt gilt es Fuß vor Fuß zu setzen und keine Schwäche zu zeigen! Jede Unsicherheit, jeder Zweifel können hier gefährlich werden. Nur die Stärksten erreichen das Ziel.

Oben angekommen, fühle ich mich stark und unbesiegbar: Egal, was heute im Büro auf mich wartet, ich bin für alles gerüstet!

Ihr Bastian

 

für die Frankfurter Rundschau

vom Dienstag, 23. Januar 1996, R-Ausgabe und vom Mittwoch, 24. Januar 1996, D-Ausgabe

Mäuse-Post

Mäuse spalten die Menschheit: in furchtbare Gegner (mit schlagkräftigen Argumenten bzw. Mausefallen) und enthusiastische Befürworter.

Entweder man fürchtet oder haßt die kleinen Tierchen, springt ihretwegen kreischend auf Tische und Bänke, oder man liebt den Anblick der eifrigen Nager über alles - zum Beispiel, wenn sie zwischen S-Bahn-Gleisen herumlaufen, wie vergangenen Freitag an dieser Stelle beschrieben.

Auf Bastians Schreibtisch sind kürzlich drei allerliebste handgehäkelte Wollmäuschen angekommen. Zusammen mit einer handgefertigten Zeichnung und handgemachten Reimen: "Ich hoffe, daß es ihr immer gut wird geh'n / Dann werden wir bald eine große Mäusefamilie seh'n" - das wünscht eine Mäuse-Freundin aus Frankfurt.

Eine Bastian-Leserin aus Liederbach teilt per Fax mit, daß sie "Josephine, die S-Bahnmaus" am Freitagmorgen um 8:54 Uhr gesehen hat, und erwähnt ebenfalls eine große Mäusesippe. Wir werden die Entwicklung im Auge behalten.

Vielen Dank jedenfalls für die wunderschönen Häkel-Mäuschen, sie sind bereits feierlich zu offiziellen Redaktionsmäusen ernannt worden!

Ihr Bastian

 

für die Frankfurter Rundschau

vom Mittwoch, 24. Januar 1996, R-Ausgabe und vom Donnerstag, 25. Januar 1996, D-Ausgabe

TZFerdinand

Einer meiner Texte wurde sogar im befreundeten Ausland abgedruckt: In Österreich, genauer gesagt Tirol. Fast eine ganze Seite bekam ich eingeräumt, weil ich scheinbar als einziger auf den 400. Todestag Erzherzogs Ferdinand II. aufmerksam geworden war.

Dessen Geschichte war nicht ganz alltäglich und auch ein bisschen romantisch: Er heiratete eine "Bürgerliche"! Das war an der Schwelle zur Neuzeit immer noch ganz ungewöhnlich. Damit meine ich weniger die Beziehung an sich als mehr die Tatsache, dass Ferdinand sein "Verhältnis" auch heiratete.

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